Bedarfserhebung stadtregionaler ÖPNRV-Infrastrukturprojekte

Lena Rücker, am 19.09.2018


Neue Studienergebnisse zum stadtregionalen öffentlichen Verkehr in Österreich

Bund, Länder und Städtebund haben über die „Unter-Arbeitsgruppe Stadtregionaler Öffentlicher Verkehr“ das KDZ- Zentrum für Verwaltungsforschung - beauftragt, eine Bedarfserhebung zu Infrastrukturinvestitionen im stadtregionalen ÖPNRV durchzuführen. Mit dieser Studie steht nun erstmals eine systematische Auswertung und Darstellung von Investitionsbedarfen nach verschiedenen Merkmalen – wie etwa Verkehrsmittel, Art der Infrastruktur, Zweck der Bedarfe, Priorität und Realisierungswahrscheinlichkeit – zur Verfügung.
Die Investitionsbedarfe der Städte und Länder wurden in den Stadtregionen mit Landeshauptstädten bzw. mit Kernstädten über 30.000 EW erhoben.  Alle Landeshauptstadtstadtregionen (mit Ausnahme von St. Pölten und Eisenstadt) plus die Städte Villach, Wels, Feldkirch und Dornbirn sind somit in der Erhebung inkludiert. Wr. Neustadt ist als einzige Stadt über 30.000 EW nicht erfasst.

Den gesamten Endbericht zu den Bedarfen der ÖPNRV-Infrastrukturen in den österreichischen Stadtregionen finden Sie hier: https://www.staedtebund.gv.at/themen/mobilitaet/stadtregionaler-oev/

Nachfolgend die Kurzfassung der Autorinnen:

Karoline Mitterer, Nikola Hochholdinger, Marion Seisenbacher

Massive Investitionsbedarfe im stadtregionalen Öffentlichen Verkehr

Der ÖPNRV[1] wird in Zukunft eine noch stärkere Rolle in den Städten einnehmen, da die Ballungsräume stetig wachsen und ein Beitrag zur Dekarbonisierung geleistet werden muss. Doch was bedeutet dies für die Städte und Länder bezüglich des Verkehrsangebotes innerhalb der Stadtregionen? Im Rahmen einer Erhebung zu den Investitionsbedarfen im stadtregionalen ÖPNRV[2] wurde dieser Frage nachgegangen.

Der stadtregionale ÖPNRV steht in den nächsten Jahrzehnten vor gravierenden Herausforderungen. Ambitionierte Dekarbonisierungsziele, steigende Pendlerverflechtungen und Bevölkerungszuwächse in Ballungsräumen werden zu massiven Ausbaubedarfen im stadtregionalen Raum führen. So bekennt sich die Bundesregierung in ihrer Klima- und Energiestrategie („mission 2030“) zu einer CO2 Reduktion im Verkehrsbereich um 31 Prozent von 2016 bis 2030. Bis 2050 soll ein Ausstieg aus fossilen Energieträgern („Dekarbonisierung“) erfolgen.[3]


Erhebung der Investitionsbedarfe in Stadtregionen

Bund, Länder und Städtebund haben daher das KDZ beauftragt, eine Bedarfserhebung zu Infrastrukturinvestitionen[4] im stadtregionalen ÖPNRV durchzuführen. Mit dieser Studie[5] steht nun erstmals eine systematische Auswertung und Darstellung von Investitionsbedarfen nach verschiedenen Merkmalen – wie etwa Verkehrsmittel, Art der Infrastruktur, Zweck der Bedarfe, Priorität und Realisierungswahrscheinlichkeit – zur Verfügung.

Die Investitionsbedarfe der Städte und Länder wurden in den Stadtregionen mit Landeshauptstädten bzw. mit Kernstädten über 30.000 EW erhoben.[6]


Zukünftiger Investitionsbedarf gemäß aktuellen Planungen

Die im Rahmen der Studie erfassten finanziellen Bedarfe belaufen sich bis 2030 insgesamt auf rund 9,4 Mrd. Euro für den Infrastrukturbereich. Hinzu kommen noch mindestens 0,7 Mrd. Euro an Bedarfen für den städtischen Fuhrpark. In Abbildung 1 sind die erfassten Bedarfe nach Stadtregionen dargestellt.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass hier ausschließlich die Kosten für die Stadtregionen abgebildet sind. Darüber hinausgehende Bedarfe der Länder für den ländlichen Raum sind nicht inkludiert. Gefragt wurde nach allen relevanten Verkehrsmitteln innerhalb der Stadtregionen (daher auch nach Bedarfen für ÖBB-Leistungen oder innerstädtische Verkehrsangebote). Die Erhebung bezieht sich primär auf die bereits geplanten Infrastrukturleistungen. Darüber hinausgehende Bedarfe aufgrund der Dekarbonisierungsziele sind hier nur im Ansatz abgebildet.

Im überwiegenden Maße handelt es sich um Projekte mit hoher Realisierungswahrscheinlichkeit. Der Schwerpunkt der genannten Bedarfe konzentriert sich auf die Jahre 2018 bis 2025 – der längerfristige Bedarf bis 2030 ist vergleichsweise noch wenig konkretisiert und ist folglich in der Erhebung unterrepräsentiert.[7]

Abbildung 1: Erfasste Bedarfe der ÖPNRV-Infrastrukturbedarfserhebung in Euro pro Kopf, 2018

Quelle: KDZ: eigene Darstellung 2018.
Anmerkungen: * exklusive Bedarfe des Landes Kärnten in den Stadtregionen Klagenfurt und Villach; ** exklusive Bedarfe der Stadt St. Pölten, der Länder Burgenland und Niederösterreich sowie der Städte Eisenstadt und Wr. Neustadt in der Stadtregion Plus.

Ausschlaggebend für den stadtregionalen Investitionsbedarf sind insbesondere die Kosten für das schienengebundene Verkehrsangebot. So sind die hohen Pro-Kopf-Bedarfe der Stadtregion Graz in erster Linie auf die geplanten umfassenden Baumaßnahmen an Bahnlinien zurückzuführen. Insgesamt betreffen rund 3,4 Mrd. Euro vorwiegend den S-Bahn- und REX-Verkehr der ÖBB. Etwa 1 Mrd. Euro wird für Privatbahnen benötigt und insgesamt 4,5 Mrd. Euro sind für die Infrastrukturen der Straßenbahnen und U-Bahnen erforderlich (siehe Abb. 2).

Abbildung 2: Verteilung des erfassten Investitionsbedarfs auf die Hauptverkehrsmittel und den städtischen Fuhrpark in Mrd. Euro und Prozent, 2018

Quelle: KDZ: eigene Berechnung und Darstellung 2018; auf Basis Erhebung zu Infrastrukturbedarfen im stadtregionalen ÖPNRV 2018.


Zusätzliche Bedarfe für die Dekarbonisierung

Die im Rahmen der Studie erhobenen Investitionskosten können nur die unterste Grenze der stadtregionalen Bedarfe im Infrastrukturbereich darstellen, da durch die jüngsten Zielsetzungen der Klima- und Energiestrategie weitergehende Bedarfe zu erwarten sind.

Eine aktuelle Studie von KCW[8] zeigt den zusätzlichen Bedarf der Dekarbonisierung für den städtischen bzw. stadtregionalen Bereich. Es wird einerseits auf die technische Komponente, andererseits auf die Notwendigkeit einer Angebotsausweitung hingewiesen. Insgesamt rechnet KCW mit (über die hier genannten Infrastrukturbedarfe hinausgehenden) Bedarfen von 2,1 Mrd. Euro im Zeitraum 2020 bis 2030 bzw. 2035 alleine für die Landeshauptstädte (inkl. Wien). Darüber hinaus wird von einem zusätzlichen Mehrbedarf für die stadtregionalen Busverkehre für die Landeshauptstadt-Stadtregionen von 2,6 Mrd. Euro ausgegangen.[9] Ergänzende Bedarfe im Eisenbahnbereich sind hier noch nicht berücksichtigt.


Handlungserfordernisse

Insgesamt ergeben sich drei Handlungsstränge für die Zukunft (Abbildung 3):

  • Erstens bedarf es einer Reform der Finanzierungsstrukturen, um den Infrastrukturerhalt und -ausbau im stadtregionalen ÖPNRV zu gewährleisten. So bestehen aktuell Finanzierungsprobleme v.a. bei Regionalbahnen, Straßenbahnen und O-Bussen. Zusätzliche Mittel sollten dabei nach transparenten Kriterien verteilt werden, welche sich an konkreten Wirkungen orientieren sollten.[10]
  • Zweitens werden konkrete Umsetzungsstrategien zur Klima- und Energiestrategie benötigt. Aus Sicht der am Projekt beteiligten Expertinnen und Experten aus den Städten und Ländern wurde betont, dass selbst bei einer ausreichenden Finanzierung die Erreichung der Klimaziele im vorgegebenen Zeitraum nur schwer möglich sein wird. Es fehlen teilweise noch ausgereifte technische Lösungen, um die Fahrzeugflotte insbesondere im Busbereich flächendeckend auf klimafreundliche Technologien umzustellen. Auch müssten Planungs- und Umsetzungskapazitäten massiv ausgeweitet werden. Es bedarf daher eines gemeinsamen Umsetzungspfades von Bund, Ländern und Städten zum Beitrag des öffentlichen Verkehrs in Stadtregionen zur Dekarbonisierung. Dieser kann etwa konkrete Zielsetzungen in Bezug zur Umsetzung des Technologiewandels und zur Angebotsausweitung umfassen.
  • Drittens gilt es, die Organisation und Steuerung in den Stadtregionen zu optimieren, um adäquat auf die Herausforderungen reagieren zu können. Besonders wichtig wären hierbei die Klärung der rechtlichen Rahmenbedingungen, eine Konkretisierung der Rollen und Zuständigkeiten insbesondere bei stadtgrenzen-übergreifenden Verkehren sowie eine intensivierte Zusammenarbeit der Akteurinnen und Akteure. Großes Potenzial wird dabei in einer optimierten strategischen Steuerung und Planung in Stadtregionen gesehen.[11]

Abbildung 3: Wichtige Schlüsse auf Basis der Infrastruktur-Erhebung im stadtregionalen ÖPNRV

Quelle: KDZ: eigene Darstellung 2018.


Wie wird es weitergehen?

Gemäß einer Pressemitteilung des BMVIT vom 6. Juni 2018[12] soll in Zukunft verstärkt der öffentliche Nahverkehr in sämtlichen Ballungszentren des Landes ausgebaut werden. Hierzu ist ein Finanzierungskonzept zur Förderung von ÖPNV-Leistungen in Ballungsräumen in Ausarbeitung, welches den Schwerpunkt auf die Themen Dekarbonisierung (z.B. Wasserstoffbetriebene Busse) und emissionsfreie Fahrzeuge setzen soll. Erste Mittel sollen 2020 fließen.

Dies ist ein erster, wichtiger Schritt, dem jedoch noch viele weitere Schritte folgen müssen.

 


[1] Öffentlicher Personennah- und Regionalverkehr

[2] Mitterer, Hochholdinger, Seisenbacher: Bedarfserhebung ÖPNRV-Infrastruktur in Stadtregionen. Endbericht, Wien 2018. http://kdz.eu/de/content/bedarfserhebung_OEPNV2018

[3] https://mission2030.info/ [download 17.7.2018]

[4] Aufwendungen für den laufenden Betrieb wurden nicht erfasst.

[5] Mitterer, Hochholdinger, Seisenbacher: Bedarfserhebung ÖPNRV-Infrastruktur in Stadtregionen. Endbericht, Wien 2018. http://kdz.eu/de/content/bedarfserhebung_OEPNV2018

[6] Nicht teilgenommen haben die Bundesländer Burgenland und Niederösterreich (inkl. Landeshauptstädte) für die Stadtregion Plus sowie das Land Kärnten für die Stadtregionen Klagenfurt und Villach.

[7] Die Planungen der Bundesländer und Städte weisen nicht denselben Konkretisierungsgrad und Planungshorizont auf.

[8] KCW (2018): Abschätzung der Mehrkosten des stadtregionalen ÖPNRV aufgrund der Erfordernisse der Dekarbonisierung. Abschätzung der investiven und konsumtiven Mehrkosten im städtischen Verkehr der Landeshauptstädte und ihren stadtregionalen Busverkehren. Unveröffentlichtes Dokument für den Österreichischen Städtebund und die UAG Verkehr. Berlin 2018.

[9] Die Berechnung beruht auf von KCW erstellten modellhaften Annahmen, da hinreichend konkrete, umsetzungsreife Konzepte noch nicht vorliegen.

[10] Siehe hierzu auch Ansätze zum Agglomerationsfonds in der Schweiz oder das Umweltverbund-Rankingmodell von Sammer et al. (Sammer, Klementschitz, Stark: Rankingmodell zur Evaluierung und Förderung von Umweltverbundmaßnahmen. Vorschlag eines Bewertungsverfahrens. Wien 2012).

[11] Vgl. Mitterer, Haindl, Hochholdinger, Schantl, Valenta: Stadtregionaler öffentlicher Verkehr. Organisation, Steuerung und Finanzierung im stadtregionalen öffentlichen Verkehr am Beispiel der Landeshauptstadt-Stadtregionen. KDZ-Studie. November 2016;
Mitterer, Hochholdinger, Valenta: Finanzierungsströme im ÖPNRV. KDZ-Studie. Februar 2017;
Pasold, Stephanie; Schaaffkamp, Christoph: Weiterentwicklungsansätze der Organisation, Steuerung und Finanzierung des stadtregionalen öffentlichen Personennah- und Regionalverkehrs. Februar 2017.

[12] BM Hofer, Ottenschläger, Hafenecker: Neues Modell zur Stärkung des öffentlichen Verkehrs in Ballungsräumen; https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20180606_OTS0229/bm-hoferottenschlaegerhafenecker-neues-modell-zur-staerkung-des-oeffentlichen-verkehrs-in-ballungsraeumen